Warum Investoren nicht für die Türkei-Krise verantwortlich sind

Markus Sievers ist geschäftsführender Gesellschafter bei der apano GmbH, die er zusammen mit Kathrin Schaper-Nordhues und Detlev Reichert gründete. Seine Schwerpunkte liegen auf PR, Marketing und Vertrieb. Er studierte nach einer kaufmännischen Ausbildung Betriebswirtschaft. Mehrere Jahre war er in führenden Positionen in der Fonds- und Finanzbranche tätig. Markus Sievers ist Autor verschiedener Fachbücher. Als Experte für Alternative Investments und Managed Futures tritt er regelmäßig in Print, Fernsehen und Hörfunk in Erscheinung. Er ist zudem Referent im Rahmen verschiedener Fachveranstaltungen.

Sind Spekulanten an der Türkei-Krise schuld? Sie sollen auf den Lira-Absturz gesetzt haben, um damit Geld zu verdienen. Markus Sievers erklärt, warum es falsch ist, auf vermeintlich böse Investoren einzudreschen.

Die Fernsehjournalistin Natalie Amiri kommentierte in der „Tagesschau“ die aktuelle Krise in der Türkei und verwies dabei auf die Gewinner des Lira-Absturzes: „Investoren aus aller Welt, die seit Wochen genau darauf spekulieren und damit verdienen. Sie verdienen Geld, wenn eine Nation in die Wirtschaftskrise rutscht.“ Und sie fügte an: „Damit Geld zu verdienen ist ein krankes System“.

Aber ist die Krise in der Türkei tatsächlich das richtige Feld für Kapitalismuskritik, indem auf Investoren eingedroschen wird, die auf fallende Aktienkurse setzen und also hoffen, von einer verfallenden türkischen Währung zu profitieren? Stellen wir zunächst fest: Wieder einmal wird hier eine Unterscheidung getroffen zwischen guten und schlechten Investoren. Zwischen solchen, die auf steigende Kurse und jenen, die auf fallende Kurse setzen. Zocker eben, also Abziehbilder des bösen Finanz- und Kapitalmarktes. Schwarze Schafe, die vom Elend profitieren oder schlimmer noch: sogar dafür verantwortlich sein sollen.

Aber sind es wirklich die Währungsspekulanten, die für die Probleme und möglicherweise für die Pleite in der Türkei verantwortlich sind? Oder ist es nicht doch eher jener einst von Politik und Wirtschaft gefeierte Recep Tayyip Erdogan selbst? Erinnern wir uns: Zu Beginn seiner Amtszeit, machte er offensichtlich vieles richtig, öffnete sich dem Kapitalmarkt, löste verkrustete Strukturen, privatisierte Wirtschaftsbereiche und sorgte dafür, dass das siebtgrößte Land unter den sogenannten Emerging Markets starkes Wachstum und Wohlstand erfuhr.

Investoren sind ein Frühindikator für Krisen

Erdogans Politik generierte Vertrauen bei Investoren und schuf erst die Basis, dort mutig zu investieren und auf steigende Kurse zu setzen. Wirtschaftsbereiche waren unterbewertet, die Chancen für Investoren also groß – ausreichende Gründe auf steigende Aktienkurse und eine erstarkende Währung zu setzen.

Nun ist es, wie überall auch in der Türkei: Wachstum stößt nun mal unweigerlich an seine Grenzen und kann nicht in den Himmel wachsen. Ein schönes Beispiel dafür sind die Immobilienmärkte. Die letzte große Immobilienblase der USA, die 2008 platze und zu einer globalen Finanzkrise führte, steht hier als eindrucksvolle Mahnung. Ein ständiges, ein vermeintlich gutes Investieren führte damals zu immer höheren Preisen. Wirtschaftlicher Realitätssinn oder kaufmännische Vernunft? Fehlanzeige.

Ein Platzen dieser Blase war unausweichlich, die wirtschaftliche Not vieler Menschen immanent. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Schiller sagte in diesem Zusammenhang dass die Möglichkeit, auf fallende Immobilienpreise zu spekulieren, die Krise deutlich abgemildert hätte. Damit hat er Recht. Ab einem bestimmten Preisniveau mehren sich eben Teilnehmer, die aus Ihrer Verantwortung als Investoren heraus, die Übertreibung erkennen und sich in Verantwortung für das Geld Ihrer Kunden positionieren. Eine Möglichkeit, die, wenn man sie konsequent ausschöpft, deutlich früher dazu führen kann, Übertreibungen einzudämmen und zu einem – mindestens aus kaufmännischen Gesichtspunkten – gerechtfertigten Preisniveau zurückzufinden.

Der Lira-Absturz ist folgerichtig

Zurück zum aktuellen Fall in der Türkei: Staatspräsident Erdogan hat seine einst als marktoffen verstandene Politik beendet, er schottet das Land ab und dreht demokratische Prozesse zurück. Dieser Politikwechsel führt zu Vertrauensverlust bei Investoren und entzieht die vernünftige Grundlage für ein irgendwie kalkulierbares Kursniveau auf den Aktienmärkten. Ganz klar, auch die Währung eines Landes spiegelt die wirtschaftliche Situation eines Landes wieder und ist Seismograf für die Beurteilung der Verhältnisse zu anderen Wirtschaftsräumen.

Dem nun folgend ist eine Abwertung der türkischen Lira im Vergleich zum US-Dollar oder zum Euro nur logisch und zwingend. Eine Überbewertung à la Erdogan wird abgebaut, für das Geld Ihrer Kunden verantwortliche Investoren ziehen Ihr Geld aus dem Land ab und sorgen damit automatisch für fallende Bewertungen. Ein weiterer Effekt: Investoren, die Möglichkeiten nutzen, von fallenden Kursen zu profitieren, haben dieses entsprechend frühzeitig getan, profitieren also von ihrer richtigen Analyse. Kein Verbrechen, kein moralischer Gau, sie tragen damit lediglich dazu bei, zusammen mit anderen Marktteilnehmern ein Kursniveau erreichen, welches der wirtschaftlichen Realität und den Perspektiven der Türkei entspricht.

Naturgemäß sind solche Prozesse mit starken Schwankungen unterlegt, weil eben in einer unklaren Gemengelage viele Unsicherheiten eingepreist werden müssen. Bei der Suche nach Schuldigen für die türkische Krise werden wir aber nicht am Finanzmarkt fündig, der ist zwar nicht perfekt aber eben kein „krankes System“ wie Frau Amiri in ihrem Kommentar meint.

Es ist ganz einfach erzählt: Fallende Kurse sind in vielen Fällen einfach die Folge von Vertrauensverlust und schlechteren Wirtschaftsaussichten. An erste Stelle der Verantwortlichen für die Situation in der Türkei steht Staatspräsident Erdogan mit seiner Politik, die Vertrauen zerstört – wenn sich hier nichts ändert, ist jeder Fingerzeig in eine andere Richtung Kosmetik oder Verschleierung.

Erschienen als Gastbeitrag in „Das Capital“ am 18.08.2018.

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