Die USA gegen den Rest der Welt

Martin Garske ist Prokurist und seit 2013 Fondsberater. Als Vertriebsdirektor betreute er zuvor seit 2002 institutionelle Kunden bei apano. Zuvor war er lange Zeit u.a. als Wertpapierberater/-betreuer bei der Dresdner Bank AG beschäftigt. Darüber hinaus arbeitete er bei der Dresdner S.A. Lux im Bereich International Private Banking und als Portfoliomanager und Vermögensverwalter.

Das neue Börsenjahr hat mit einem ausgeprägten Fehlstart begonnen. Freilich war bereits der Jahresausklang von Abgaben geprägt gewesen, so dass sich die ohnehin überaus klägliche sonst übliche Jahresendrallye bereits zum Silvesterabend wieder komplett verflüchtigt hatte. Es greift deshalb zu kurz, nur dem chinesischen Aktienmarkt die Schuld an dem schwachen Debüt 2016 zu geben. Schon lange gab es nicht mehr so viele gleichzeitig auftretende negative Stimmungsfaktoren: die schleichende Renationalisierung des Schengenraums, zunehmende Aggressionen innerhalb der islamischen Welt, Sorgen um eine mögliche Abwärtsbeschleunigung der chinesischen Wirtschaft, der Entzug von Liquidität wegen der Beendigung der Zinslockerungsmaßnahmen in Amerika, existenzieller Druck auf die Ölförderindustrie, die Bedrohung der Stabilität einiger Schwellenländer wegen hartnäckig niedriger Rohstoffpreise und teurem US-Dollar sowie die angespannte Stimmung zwischen Russland und dem Westen mit der jüngst ausgesprochenen Verlängerung der Sanktionen um weitere sechs Monate. Jeder Punkt für sich betrachtet ist bereits ein Belastungsfaktor. Alle zusammen genommen sind sie eine hochgefährliche Mischung mit enormem Abwärtspotenzial für die Börsen. Wenn da nicht die US-Börsen wären.

US-Börsen verhindern notwendige Bereinigung der Aktienmärkte

Bereits 2014 und 2015 erwies sich der US-Markt stets als zuverlässige Bastion gegen jede Baissespekulation. Nach jeder etwas ausgeprägteren Abwärtsbewegung gab es urplötzlich einsetzende Kurssprünge, die zuletzt noch schneller liefen als die vorhergehenden Korrekturen. Dieser immer wieder auftretende V-förmige Kursverlauf des S&P ist es, der eine eigentlich übernotwendige Bereinigung der Aktienmärkte verhindert. Deshalb erwies sich Buy & Hold oder sogar Buy in Dips (Käufe in Schwäche) in den letzten Jahren stets als richtig. Inverstoren oder Fondsmanager, die versuchten, in Korrekturwellen das Risiko zu reduzieren, um sich oder seine Kunden vor der potenziellen Ausweitung zu einem Crash zu schützen, hatten zwar weniger Schwankungen auszuhalten, dies erfolgte aber stets zu Lasten der Performance, weil die V-förmige Erholung günstige Rückkäufe verhinderte. Kein Wunder also, dass es sich potenzielle Verkäufer inzwischen zweimal überlegen, ob sie taktisch Risiko reduzieren oder ob sie ihre Bestände einfach aussitzen. Bleibt aber der Verkaufsdruck aus, dann ist auch das Abwärtspotenzial begrenzt.

Typisches Erholungsmuster

Wird es dieses Mal anders verlaufen? Das ist schwer vorher zu sagen. Obwohl Amerika unter festem US-Dollar und schwachen Ölpreis besonders leidet und unmittelbarstes „Opfer“ einer Zinswende ist , hat sich auch gestern wieder in den USA das typische Erholungsbild im späten Handel gezeigt. Erst ein Schlusskurs des S&P unterhalb von 1980 könnte die Energie entfachen, die es benötigt, um einen Impuls zu bekommen, der eine größere globale Abwärtswelle der Kurse auslöst. Aber auch die Rückkehr der EZB nach ihrer Weihnachtsunterbrechung darf nicht unterschätzt werden. Zieht sie mit ihren Käufen die Renditen der europäischen Staatsanleihen auf neue Tiefs, könnte dies durchaus helfen, zusammen mit dem damit automatisch verbundenen festeren US-Dollar die Aktienmärkte hierzulande zu stabilisieren.