Bis Mitte der Woche deuteten die Umfragen auf einen immer schneller wachsenden Vorsprung der Brexit-Befürworter hin. Dem entsprechend agierten die Marktteilnehmer: der Goldpreis und die Top-Bonitäten unter den Anleihen erreichten Mehrjahres- bzw. sogar historische Rekordstände. Auf der Gegenseite schoss die DAX-Volatilität (ein Gradmesser für die Nervosität der Börsianer) von Freitag- bis Donnerstagabend um weitere 30% in die Höhe. Zeitgleich taumelten die europäischen und japanischen Aktienindizes immer schneller in Richtung ihrer Jahrestiefs. Dann jedoch erfolgte eine abrupte Wende. Die Ermordung der Politikerin Joe Cox, die sich engagiert für einen Verbleib Englands in der EU ausgesprochen hatte, scheint den Großteil der bis dahin noch unentschlossenen Briten davon überzeugt zu haben, dem Lager der Bremain-Befürworter beizutreten. Dies wurde am Freitag vorsichtig und am heutigen Montag enthusiastisch eingepreist. Entsprechend wechselten die Gewinner und Verlierer an den Märkten erneut ihre Vorzeichen. Damit etabliert sich derzeit der vierte große Stimmungswechsel innerhalb weniger Wochen.
Glauben ist nicht Wissen
Es ist eine unangenehme Eigenschaft der Börsen, wichtige Ereignisse nicht abzuwarten, sondern sie vorwegzunehmen. Der Antizipationsmechanismus der Märkte ist ein fortlaufender Prozess, in den ununterbrochen neueste Informationen, Gerüchte und Meinungen der Märkte eingespeist werden. Das aktuell absolut dominierende Thema ist das Briten-Referendum. Dass hier die Erwartung über den Ausgang in den letzten Wochen ständig wechselte, zeigt sich im extrem schwankenden Sentiment der Anleger. Dies lässt sich am apano-Stimmungsindex sehr gut ablesen. Glauben ist nicht Wissen – die „Bremain“-Anhänger scheinen nun zwar wenige Tage vor dem Referendum die Mehrheit endgültig hinter sich zu haben, jedoch ist unschön, dass die Börsen dies bereits jetzt schon beginnen, als sicher zu feiern. Wenn es dann doch anders kommt, ist der Sturz danach nur umso tiefer. Denn das konjunkturelle und markttechnische Umfeld der Börsen ist momentan alles andere als günstig, weshalb das Chance-Risiko-Verhältnis asymmetrisch ist: ein Verbleib der Briten in der EU wird wohl schnelle 5% im DAX bringen, der Brexit hingegen aber wohl genauso schnell mindestens 10% kosten. Sicher ist es legitim, einen für die Märkte positiven Ausgang zu erwarten und sich entsprechend zu positionieren.
Verlustvermeidung vor Gewinnmaximierung
Hier aber unterscheidet sich die Philosophie vieler Fonds mit variabler Risikobereitschaft – wozu auch die beiden von uns gemanagten apano-Fonds zählen – ganz gewaltig von reinen Börsenindizes bzw. von daueroffensiven Fonds mit statisch hoher Gewichtung in Aktien. Letztere werden wohl erstere in dieser Woche deutlich abhängen, weil ja wahrscheinlich der Brexit nicht kommt. Das von den variabel agierenden Managern vermiedene Risiko ist keine erfassbare Messgröße und die damit verbundene Managerleistung bleibt unsichtbar, wenn das Ereignis nicht eintritt, vor dem geschützt wurde. Stattdessen wird sich dann ein negatives Gap – also eine Unterperformance zum Markt auftun, die allzu gerne als Minderleistung interpretiert wird. Deshalb ist es ganz wichtig, den großen Unterschied zu verstehen: ein variabel oder defensiv agierender Manager hat als oberstes Ziel nicht Gewinnmaximierung, sondern weitgehende Verlustvermeidung. Dies gilt in der laufenden Woche in ganz besonderem Maße.