Investieren nach der Draghi-Euphorie

Martin Garske ist Prokurist und seit 2013 Fondsberater. Als Vertriebsdirektor betreute er zuvor seit 2002 institutionelle Kunden bei apano. Zuvor war er lange Zeit u.a. als Wertpapierberater/-betreuer bei der Dresdner Bank AG beschäftigt. Darüber hinaus arbeitete er bei der Dresdner S.A. Lux im Bereich International Private Banking und als Portfoliomanager und Vermögensverwalter.

Europas Aktienmärkte wurden seit Ende Juni regelmäßig von verbalen Drogen verwöhnt. Kaum lässt deren Wirkung jetzt ein wenig nach, macht sich an den Börsen wieder Lethargie und Unsicherheit breit.

Der Mangel an solchen Stimulanzien führte dazu, dass zuletzt den fundamentalen Daten des Ist-Zustandes wieder mehr Bedeutung beigemessen wurde. Aus dieser Ecke kommt wenig, was zu Euphorie Anlass gibt. Und das gilt rund um den Globus. Einzig und allein die USA zeigen Anzeichen einer Stabilisierung. Im Rest der Welt scheint sich eher eine weitere Abkühlung anzubahnen.

Zudem setzt sich das Tauziehen um die richtige Geschwindigkeit der Sparmaßnahmen zur Bändigung der europäischen Schuldenkrise fort. Es werden offen Prolongationen und/oder Erleichterungen verlangt, was wieder mal einen Eingriff in getroffene Abmachungen bedeuten würde. Andererseits sind wir inzwischen in der Transferunion angekommen, Draghi und seine Mannen haben Rubikon und „point of no return“ überschritten. Das ist die vielleicht wichtigste Message aus dem Monat September. Als Beispiel hierfür werden wir beim EU-Gipfel am 18./19. Oktober erleben, wie Griechenland die nächste Tranche bewilligt bekommt, obwohl es hinten und vorne die „eigentlich“ dazu erforderlichen Vorgaben nicht erfüllt. Und wer bislang noch zweifelte, kann sich sicher sein, dass der Besuch von Frau Merkel in Griechenland schon fast so viel bedeutete wie die Unterschriftsleistung unter die neuen Hilfspakete.

Auf den ersten Blick tun sich genug Faktoren auf, die für schwächere Börsen sprechen. Aber wer die Märkte halbwegs verfolgt, weiß, dass dort immer viel komplexer gedacht wird. So ist die globale Beinahe-Rezession eine fantastische Entschuldigung für vergangene und sicher auch noch zukünftige massive Notenbankmaßnahmen rund um den Globus. Es ist viel einfacher, die Märkte bei globaler Stagnation mit billigem Geld zu fluten, um den wankenden Nationen zu helfen, als wenn die Weltwirtschaft auf Boomkurs wäre. Dann hätten wir das Problem hoher Nachfrage, was in Kombination mit der Geldflutung einen heftigen Inflationsschub mit sich bringen würde. Zudem hält die schwache Weltwirtschaft die Zinsen der Top-Bonitäten-Nationen (USA, D, J, F, GB, CH, Can, AUS) auf äußerst niedrigem Niveau. Dadurch wird verhindert, dass die Renditen für konkurrierende Nicht-Prime-Bonitäten nach oben durch die Decke gehen. Wäre Deutschland bei 5 Prozent, wäre Italien zweistellig.

Aktien sind allein schon aus Mangel an vernünftigen Alternativen eine Überlegung wert. Risikolos und sogar risikoarm angelegtes Kapital bringt unter Berücksichtigung der Geldentwertung Negativrendite. Nur wer Risiko eingeht, kann netto derzeit Geld verdienen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber mit zunehmender Stabilisierung der Börsen nach den Schocks von 2008 und 2011 auf mehr und mehr Akzeptanz in der Öffentlichkeit stoßen. Das gilt besonders jetzt, da zwei wichtige Wettbewerber der Aktie – nämlich Staatsanleihen außerhalb des Euroraumes und Unternehmensanleihen – relativ an Attraktivität verlieren. Etliche Anlagen außerhalb des Euros haben in der jüngsten Euro-Stabilisierung mehr verloren als der auf dem Papier stehende rechnerische Renditevorsprung eines Jahres beträgt. Das dürfte den Risikoappetit auf Ex-EUR-Anlagen etwas verdorben haben. Unternehmensanleihen hingegen werden immer teurer, zumindest gilt das für die Top-Bonitäten, beispielsweise die Schuldner aus dem DAX. Ein Blick auf den für diese Firmen relevanten Index, den RDAX (WKN A0C375), genügt: dieses Thema ist unter Renditeaspekten abzuhaken. Herzlichen Glückwunsch für den, der früh genug dabei war, aber wer heute erst einsteigt, kauft ertragloses Risiko.

Während die meisten konjunkturellen Daten auf eine Baisse hindeuten, sagen die oben erwähnten Argumente das Gegenteil. Der abschließende Blick auf die technische Seite gibt eine klare Empfehlung: der DAX testete am gestrigen Donnerstag erfolgreich mit 7200 den Kurzfristtrend, den sogenannten 38-Tage-Durchschnitt. Mit dem Rückgang auf diese Trendlinie hat der deutsche Leitindex die heiße Phase der Übertreibung der Draghi-Hausse abgeschlossen. Zum ersten Mal seit dem 6. September, als die EZB umfangreiche Anleihekäufe für notleidende Staaten in Aussicht stellte und damit die jüngste Euphorie-Rakete zündete, kann deshalb allmählich wieder über Käufe von deutschen Top-Aktien nachgedacht werden. Dies gilt besonders, da die nächsten 5 Prozent nach unten – bei 6850 liegt der 90-Tage-Mitelfristtrend – gut abgepolstert sind mit zahlreichen technischen Unterstützungen.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass der DAX einfach so durch alle Barrieren durchrutscht. Sollte der DAX am Montag über 7200 starten, wäre das ein Beweis hoher technischer Stärke und würde unmittelbare Käufe rechtfertigen. Sollte er diese erste Barriere doch durchbrechen, dann werde ich mich auf die Lauer legen und spätestens bei einem Rücksetzer auf 6900 kaufen. Jedoch kein Kauf ohne Sicherheitsnetz: bei 6700 sitzt derzeit die Reißleine für meine aktuellen DAX-Bestände.