Seit gestern weht eine frische Brise durch die Börsensäle. Damit hat eine fast 2-wöchige Flaute ihr vorläufiges Ende gefunden. Was waren die Ursachen dieser fast unheimlichen Stille und wie geht es nun beim Stand von 7000 Punkten im DAX weiter?
Tagelang das gleiche Bild: Jeder Versuch der Börsen, nach oben oder unten auszubrechen, war am Ende der Börsensitzung wieder eliminiert. Was steckte hinter dieser Phlegmatik?
Die Marktteilnehmer hatten sich Ende Juni auf den Sommer vorpositioniert. In den letzten 4 Jahren erlebten Aktionäre im 3. Quartal zweimal äußerst unangenehme Zeiten, die den Spaß an abendlichen Grillparties gründlich verdarben. Sowohl 2008 als auch 2011 entstanden aus fast heiterem Himmel heftige Sommergewitter, die z.B. den DAX-Anleger dann am Ende des Quartals mit -10 bzw. -25 Prozent haben im Regen stehen lassen. So war es nicht verwunderlich, dass viele Privatanleger und Fondsmanager sich 2012 mit geringer Aktiengewichtung auf den Weg in Richtung Sommerferien machen wollten.
Dann kam Ende Juni der Paukenschlag vom EU-Gipfel mit der Absichtserklärung, dass der Euro-Rettungsfonds ESM zukünftig direkt Kapitalhilfen an geschwächte Banken zahlen darf. Drei Wochen später legte EZB-Chef Mario Draghi noch eine Schippe drauf: Die EZB werde alles innerhalb ihres Mandats tun, was zum Erhalt des Euro nötig sei. Dieser Doppelschlag wurde von den Anlegern als wichtiger Schritt gedeutet, um die Kapitalmärkte zu beruhigen. Denn die dringlichste Anlegersorge war, wie die Baisse-Spekulation gegen südeuropäische Staatsanleihen aufgehalten werden kann.
So kam es von Anfang Juli bis Anfang August zu einer Eindeckungs-Rallye an den Börsen. Viele Anleger und Fondsmanager erhöhten ihre „Risk on“- Positionen. Zudem reduzierten viele negativ eingestellte Marktteilnehmer ihre Baisse-Positionen, nahmen also Eindeckungskäufe vor. Dieser Prozess führte die wichtigsten Märkte in Europa und Amerika innerhalb kürzester Zeit bis an markante technische Widerstandslinien heran.
Genau das ist das Problem. Börsen sind Antizipationsmechanismen, die unglaublich schnell Anpassungen vornehmen. Die oben angesprochenen Nachrichten sind eingepreist und es bedarf neuer Stimulationen. Ohne diese reicht die Kraft nicht, um solche wichtigen Widerstände, an denen wir jetzt angelangt sind, einfach zu überspringen. So stehen die beiden wichtigsten Aktienindizes weltweit, Dow Jones und S&P 500, auf den Jahreshochs vom Frühjahr und zugleich auch exakt auf den Levels, die den Untergrenzen der Konsolidierungsbänder rund um die Allzeithöchststände von 2007 entsprechen. Psychologisch übertragen bedeutet das: Ab hier beginnt die Euphoriephase.
Wie zu beobachten ist, hängen fast alle Börsen – der DAX nicht ausgenommen – stark an der Kursentwicklung der US-Aktien. Die Frage, wie es weiter geht mit dem DAX, lässt sich also über den Umweg beantworten, ob es gerechtfertigt ist, dass die amerikanischen Aktien inmitten von Staatschuldenkrise und anämischen globalen Wachstumsraten nur noch 6 Prozent unter ihren Allzeithöchstständen von 2007 notieren. Gründe, diese Frage zu bejahen, gibt es: Die meisten Unternehmen verdienen heute viel mehr als 2007, so dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis heute deutlich günstiger ist. Die Gewinnrendite auf Aktien sieht besonders im Vergleich zur Anleiherendite äußerst attraktiv aus. Sie berechnet sich aus dem Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses.
Wenn wir also z.B. beim DAX davon ausgehen, dass die Kurse derzeit ungefähr im Durchschnitt dem 13-fachen Jahresgewinn entsprechen, so bekommen wir eine Gewinnrendite von 100 Prozent :13 = 7,69 Prozent. Verglichen mit den 1,5 Prozent, die eine 10-jährige Bundesanleihe derzeit an Rendite bringt, kommt ein Ergebnis zustande, das historisch fast einmalig ist: Die Gewinnrendite bei Aktien liegt fünfmal so hoch. Dies liegt natürlich nicht nur an den sprudelnden Gewinnen der Unternehmen, sondern auch an den extrem niedrigen Zinssätzen für Top-Anleihen. Genau dieses Phänomen ist in den USA auch zu beobachten, so dass aus dieser Betrachtung heraus Aktien keineswegs überteuert und euphorisch bewertet sind.
Also nichts wie rein in den Markt? Ja, aber! Denn es gibt auch Risiken. Der Liquiditätsfalle insbesondere der südeuropäischen Staaten soll zumindest indirekt mit dem Drucken neuen Geldes begegnet, der Teufel also mit Beelzebub bekämpft werden. Eine wirklich ernst genommene Rückführung von Staatsschulden würde die globale wirtschaftliche Aktivität lähmen und somit auf die zukünftigen Gewinne der Unternehmen drücken. Nicht zu vergessen: Die Börse handelt Zukunft, nicht Vergangenheit!
Weitere Risiken sind: Wir sehen derzeit Gewinnmitnahmen bei Anleihen der Top-Bonitäten. Der Bund-Future hat technisch gesehen eine doppelte Spitze (Doppeltop) gebildet, ein gefährliches Warnsignal! Solange die Gewinnmitnahmen begrenzt bleiben und die Erlöse zudem in Aktien „gedreht“ werden, ist das nicht schlimm. Sollten diese Wolken am Horizont des Rentenmarktes sich aber zu einem schweren Gewitter entwickeln, dann werden viele Marktteilnehmer dies als Ausdruck eines beginnenden Vertrauensbruches in die Schuldnersolidität werten. Zudem würde der dadurch bedingte rasche Renditeanstieg die oben dargestellte hohe Attraktivität von Aktien versus Anleihen schnell schrumpfen lassen.
Am 12. September verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über den ESM und Fiskalpakt – was, wenn es zum Ergebnis kommt, dass ein Verstoß gegen die deutsche Verfassung vorliegt? Zudem verdichten sich in Israel Gerüchte über einen unmittelbar bevorstehenden Militärschlag gegen die im Bau befindlichen iranischen Atomanlagen.
Mein Fazit: Obwohl Aktien auf dem derzeitigen Niveau billig sind, erwarte ich keinen großen Schub nach oben. Glaubhaft wird der Aufbruch in neue Höhen nur, wenn er von hohen Umsätzen begleitet wird, ausgelöst durch eine Serie von handfesten, positiv interpretierten Impulsen.
Die hier aufgeführten Gefahren sollten nicht unterschätzt werden. Anleger sollten diese Risiken mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 10 bis 20 Prozent einkalkulieren. Vorsichtige Akteure warten also entspannt zumindest auf den 12. September und genießen bis dahin den endlich auch in Deutschland angekommenen Hochsommer. Für ungeduldigere Charaktere gilt: Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Amerikaner ihre Indizes Dow und S&P zum Jahresende auf neue Allzeithochs hieven werden, so dass ich für den DAX auf Jahresendsicht eher von 7500 als von 6500 Punkten ausgehe. Jedoch ist das zu 50 Prozent Bauchgefühl. Sich darauf zu verlassen, wäre leichtsinnig.
Also werde ich meine positive Grundausrichtung absichern und zu diesem Zweck nüchtern handelnde Maschinen in mein Portfolio einbauen: Managed Futures. Denn noch ist nicht abzusehen, ob die gestern aufgekommene frische Brise Vorbote eines neuen Hochs ist und wir weiter feiern können oder ob wir uns antizyklisch an das Sprichwort halten sollten, die Party genau dann zu verlassen, wenn sie am schönsten ist.